Menschlichkeit


GV: Zwischen Vollstreckung und Menschlichkeit
Soziale Aspekte im Gerichtsvollzieheralltag
Der Gerichtsvollzieher ist mehr als nur Vollstrecker – er ist häufig der Letzte, der vor Ort noch einen echten Einblick in die Lebenswirklichkeit überschuldeter Menschen erhält. Doch was bedeutet das für den Berufsalltag, für die Haltung im Einsatz – und welche Verantwortung geht damit einher?
Die Zahl überschuldeter Haushalte in Deutschland steigt, vor allem in sozialen Brennpunkten und durch aktuelle wirtschaftliche Belastungen wie Inflation, hohe Energiepreise und steigende Mieten. Gerichtsvollzieher sind oft diejenigen, die mit der existenziellen Not der Menschen unmittelbar konfrontiert werden – sei es bei der Abnahme der Vermögensauskunft, der Pfändung oder sogar bei Räumungen. Dabei zeigt sich immer häufiger: Der Vollstreckungsauftrag ist nicht nur ein rechtlicher Vorgang, sondern auch ein sozialer Drahtseilakt. Wie begegnet man Schuldnern, die weinend die Tür öffnen, die psychisch erkrankt sind oder bei denen Kinder im Haushalt leben?
Das Gesicht der Justiz – Relevanz eines oft unterschätzten Berufs
Der Gerichtsvollzieher ist häufig der einzige direkte Kontakt, den Bürger mit der Justiz erleben. Er ist das Gesicht der Justiz vor Ort – er setzt um, was Gerichte entschieden haben, und sorgt dafür, dass zivilrechtliche Urteile mehr sind als nur Worte auf Papier. Ohne seine Arbeit bliebe vielen Gläubigern der Rechtsweg verschlossen, denn das Recht auf Durchsetzung einer Forderung wäre faktisch wertlos. Gerichtsvollzieher gewährleisten die Durchsetzung des Rechts – verlässlich, gesetzeskonform und unter oft schwierigen Bedingungen. Dabei wird immer deutlicher: Die Anforderungen an das Berufsbild sind komplexer denn je. Neben tiefgreifender Fachkompetenz ist ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, Empathie und Kommunikationsgeschick gefragt – gerade, weil der Gerichtsvollzieher häufig allein im Einsatz ist und vor Ort auch in kritischen Situationen die Lage einschätzen und lösen muss. Wir als Gewerkschaft sehen diese Relevanz klar – und fordern, dass sich diese gesellschaftliche Bedeutung auch in der Anerkennung und Wertschätzung durch die Justizverwaltungen widerspiegelt.
Zwischen Gesetz und Gewissen
Natürlich ist der Auftrag klar: Die Zwangsvollstreckung dient der Durchsetzung berechtigter Ansprüche. Doch im Umgang mit besonders vulnerablen Schuldnergruppen ist Fingerspitzengefühl gefragt. Der Gerichtsvollzieher ist kein Sozialarbeiter – und soll es auch nicht sein. Aber er steht an einer sensiblen Schnittstelle zwischen Justiz, Gesellschaft und individueller Lebenslage. Ein reflektierter Umgang mit solchen Situationen kann nicht nur die eigene Belastung im Einsatz reduzieren, sondern auch deeskalierend wirken – ein Faktor, der auch die persönliche Sicherheit erhöht.
Kooperation statt Konfrontation: Schuldnerberatung als Partner
Immer häufiger zeigen Erfahrungen: Frühzeitige Zusammenarbeit mit lokalen Schuldnerberatungsstellen kann eskalierende Einsätze vermeiden. Der Hinweis auf Beratungsangebote, das Gespräch „auf Augenhöhe“ und – wo möglich – eine kurze Rücksprache mit der Beratungsstelle kann im Einzelfall helfen, tragfähige Lösungen zu finden. Das setzt jedoch voraus, dass solche Netzwerke existieren – und dass die Justizverwaltung solche Kooperationen unterstützt.
Was die Politik tun muss
Wenn Gerichtsvollzieher zunehmend soziale Funktionen übernehmen (müssen), braucht es klare Regelungen:
Mehr Schulungen im Umgang mit Krisensituationen, z. B. bei psychischer Erkrankung, Kindeswohlgefährdung oder Gewaltbereitschaft.
Bessere Vernetzung mit sozialen Institutionen – mit Zeit und Ressourcen für präventive Gespräche.
Anerkennung der psychosozialen Belastung im Berufsbild und entsprechende Entlastungsangebote.
Fazit: Menschlichkeit ist kein Widerspruch zur Vollstreckung
Die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen und mit Augenmaß zu handeln, macht einen professionellen Gerichtsvollzieher heute aus. Soziale Sensibilität ist kein Nachteil, sondern ein Zeichen von Stärke – vor allem in einem Beruf, in dem man täglich mit den Schattenseiten unserer Gesellschaft konfrontiert ist. Wer täglich zwischen Recht und Realität vermittelt, verdient nicht nur rechtliche Rückendeckung, sondern auch menschliche Wertschätzung – und zwar sofort!